LÄNDERSTATIONEN
„Wir wollen Trendsetter bei Gesundheitsstandards sein“
Die Siemens AG engagiert sich seit über 125 Jahren für die Gesundheit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Bei weltweit mehr als 340.000 Beschäftigten ist es eine große Herausforderung, den Einzelnen dabei nicht aus dem Blick zu verlieren. Faktoren wie der demographische Wandel führen zudem zu einem Anstieg von chronischen Krankheiten, wie der Volkskrankheit Diabetes, am Arbeitsplatz. Allein in Bayern leben ca. eine Million Menschen mit diagnostiziertem Diabetes, viele davon im berufsfähigen Alter. Für Unternehmen wie Siemens stellt dies eine ernstzunehmende Entwicklung dar.
Wie gelingt die Gesunderhaltung aber auch die Gesundheitsversorgung am Arbeitsplatz? Was können andere Unternehmen - in Bayern und bundesweit - vom Gesundheitsmanagement großer Unternehmen wie der Siemens AG lernen? Was kann und muss Politik tun, um Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung gezielt zu unterstützen?
Am 1. März 2016 war die Initiative Diabetes@Work zu Gast bei der Siemens AG in München, um Antworten auf diese und weitere Fragen zu finden. Unter der Schirmherrschaft von Melanie Huml, der Bayerischen Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, diskutierten Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Fachgesellschaften im SiemensForum im Herzen Münchens praxistaugliche Lösungsansätze und Maßnahmen.
Film zur Länderstation in Bayern
Janina Kugel, Mitglied im Vorstand und Arbeitsdirektorin der Siemens AG begrüßte die rund 70 Teilnehmer zur Veranstaltung und bezeichnete die Gesunderhaltung aller Siemens-Beschäftigten als zentrale Aufgabe des Führungspersonals. „Uns geht es darum, Verantwortung für unsere Mitarbeiter zu übernehmen und dazu gehört auch die Förderung ihrer Gesundheit – hier wollen wir als Trendsetter gelten“. Die Siemens AG setze sich über Unternehmensgrenzen hinweg für die Einhaltung internationaler Gesundheitsstandards ein.
Dr. Gerd Kräh von Lilly Deutschland und Partner der Initiative Diabetes@Work stellte daraufhin die Initiative und ihre Ziele vor: Die Partner der Initiative sammeln Best Practices der betrieblichen Gesundheitsförderung in verschiedenen Bundesländern und diskutieren bei Unternehmen vor Ort, wie Prävention und Kuration von chronischen Erkrankungen in Betrieben noch besser gelingen kann – und welche Maßnahmen auf weitere Unternehmen übertragen werden können. Diese Erfahrungen trage die Initiative im Herbst dieses Jahres in die Bundespolitik nach Berlin – mit konkreten Empfehlungen für rahmengebende Impulse wie eine nationale Diabetesstrategie. Die chronische Erkrankung habe sich schließlich zu einer enormen Herausforderung entwickelt: „Es gibt immer mehr Diabetiker, die es zu behandeln gilt, darunter erschreckend viele junge Betroffene.“
Diabetes@Work knüpft an Bayerisches Schwerpunktthema „Diabetes bewegt uns“ an
Melanie Huml, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege und Schirmherrin der Veranstaltung, knüpfte daran an und bedankte sich zunächst für das Engagement der Partner der Initiative Diabetes@Work. „Gesundheit am Arbeitsplatz ist ein ganz wichtiges Thema, es freut mich, dass Sie das Thema in die bayerische Politik tragen.“
In einem Impulsvortrag zur Rolle von Unternehmen bei Prävention und Gesundheit am Arbeitsplatz in Bayern bezeichnete Huml Diabetes als „stille Volkskrankheit“. Sie schleiche sich ein und werde erst spät bemerkt. „Es rentiert sich, bei Diabetes frühzeitig einzugreifen, um Folgeerkrankungen zu vermeiden. Dazu müssen wir die Menschen dort erreichen, wo sie sind – in ihren Lebenswelten wie dem Arbeitsplatz“, so die Ministerin. Eine Herausforderung sei, dass nicht nur große, sondern auch kleine und mittelständische Unternehmen Präventionsmaßnahmen etablieren können. Die Politik könne den Rahmen setzen, für die praktische Umsetzung müssten jedoch alle an einem Strang ziehen, appellierte Huml.
„Es gibt keinen One-Fits-All-Approach“
Was die Siemens AG unternimmt, betriebliche Gesundheitsmaßnahmen für mehr als 340.000 Mitarbeiter zu etablieren, welche Herausforderungen damit verbunden sind und was andere Unternehmen davon ableiten und lernen können, war Gegenstand eines Praxiseinblicks. Dr. Ralf Franke, Corporate Vice President, Corporate Medical Director und Head of Environmental Protection, Health Management and Safety bei der Siemens AG und Alf van de Wetering, Mitglied des Gesamtbetriebsrats der Siemens AG präsentierten gesundheitsfördernde Projekte des Konzerns. Eine zentrale Rolle nehme das unternehmensweite Programm „Healthy@Siemens“ ein, das einen Rahmen mit verschiedenen Werkzeugen für ein nachhaltiges Gesundheitsmanagement schaffe. Dr. Franke betonte: „Es gibt nicht diesen One-Fits-All-Approach“. Zielführend sei vielmehr, auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter einzugehen. Klar sei dies eine große Herausforderung bei der Vielzahl an Arbeitsplätzen weltweit. Doch es könne gelingen, wenn die Angebote bedarfsgerecht und zielorientiert in die Geschäftsprozesse integriert würden, „von der Planung über die Produktion bis hin zum Vertrieb“.
Alf van de Wetering attestierte den Siemens-Mitarbeitern ein zunehmend gesundheitsbewusstes Verhalten. Dies mache sich in der Kantine bemerkbar, in der immer stärker Wert auf eine gesunde Ernährung gelegt würde, so der Betriebsrat. Siemens unterstütze die Belegschaft darüber hinaus mit Gesundheitstrainings und konzerneigenen Fitness-Studios an vielen Standorten.
Diabetes von Stigmatisierung und Diskriminierung befreien
Im Impulsgespräch zum Umgang mit chronischen Erkrankungen am Arbeitsplatz als Netzwerkaufgabe bescheinigte Prof. Dr. Rüdiger Landgraf, Bevollmächtigter des Vorstands der Deutschen Diabetes-Stiftung, der „stillen Volkskrankheit“ ein negatives Image. „Das Thema Diabetes ist leider bis heute mit Stigmatisierung verbunden, Betroffene erfahren erhebliche Diskriminierung im sozialen Umfeld und im Arbeitsleben“, so Prof. Landgraf. Dr. Hans Unterhuber, Vorstandsvorsitzender der Siemens Betriebskrankenkasse, pflichtete ihm bei und forderte eine Enttabuisierung des Themas. Er sei jedoch optimistisch, dass sich der Umgang mit Diabetikern verbessern und sich Betroffene in Zukunft stärker öffnen werden.
Eine Hürde in der praktischen Versorgung, um Risikopatienten frühzeitig erkennen und behandeln zu können, sei jedoch der strenge Datenschutz, so Dr. Unterhuber. „Die Datenschutzproblematik führt dazu, dass häufig Unkenntnis über die Betroffenen herrscht.“ Krankenkassen und Leistungserbringern seien hier die Hände gebunden. Prof. Landgraf fügte hinzu, dass behandelnde Haus-und Fachärzte aus Datenschutz-und Schweigepflichtgründen häufig keinen Kontakt zum Arbeitgeber aufnähmen – und dies trotz Kenntnis über die Erkrankung. Beide waren sich einig, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.
„Gesundheit im Unternehmen ist ,Win-Win-Situation‘ für Arbeitgeber und Arbeitnehmer“
Im abschließenden politischen Dialog diskutierten die bayerischen Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer (CSU) und Martina Stamm-Fibich (SPD) sowie der bayerische Landtagsabgeordnete Ulrich Leiner (Bündnis 90/Die Grünen) mit Sandra Stude, Fachsekretärin „Gute Arbeit und Demografie“ bei der IG BCE Bayern, Anne-Kathrin Klemm, Abteilungsleiterin Politik beim BKK Dachverband und Prof. Dr. Beate Kretschmer von Lilly Deutschland über den Umgang mit Diabetes und chronischen Erkrankungen am Arbeitsplatz und die politischen Aufgaben. Dabei stand insbesondere die Ausgestaltung einer nationalen Diabetesstrategie, die von der Fachwelt seit Langem gefordert wird, im Fokus der Diskussion. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass Verbote nicht zielführend seien, ein Zwang zu guter und gesunder Lebensführung könne nicht das Mittel der Wahl sein. Vielmehr bedarf es positiver Anreize zur individuellen Gesunderhaltung, beispielsweise durch ernährungssensibilisierende Maßnahmen. Hierzu betonte Erich Irlstorfer: „Das Thema gesunde Ernährung muss vermehrt im Schulunterricht adressiert werden, um früh ein Bewusstsein für ernährungsbedingte Risiken zu schaffen“.
Zudem wurden Vorschläge zur Förderung von gesundheitsbewusstem Verhalten am Arbeitsplatz diskutiert. „Die Gesundheit im Unternehmen und am Arbeitsplatz ist eine ,Win-Win-Situation‘ für den Arbeitgeber und Arbeitnehmer“, verdeutlichte Sandra Stude. Eine nationale Diabetesstrategie müsse insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen unterstützen, in Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung zu investieren. Konkret schlug Ulrich Leiner hierfür mehr steuerlicher Anreize für betriebliche Präventionsleistungen vor.
Die Teilnehmer des politischen Dialogs griffen ferner die Themen Akzeptanz von chronischen Erkrankungen am Arbeitsplatz sowie die Versorgungslage von Menschen mit Diabetes in Deutschland auf. Dabei kritisierte Martina Stamm-Fibich, dass Arbeitnehmer in Deutschland nicht das Gefühl haben, gut aufgehoben zu sein, wenn sie sich gegenüber ihrem Arbeitgeber outen. Daher brauche es vor allem in der Arbeitswelt einen offenen Umgang mit der Krankheit. Ulrich Leiner spannte den Bogen zur medizinischen Versorgung von chronisch Kranken und Menschen mit Diabetes und forderte die konsequente Fortführung und vermehrte Evaluation strukturierter Behandlungsprogramme, so genannter Disease Management Programme (DMP).
Die verschiedenen Themen des politischen Dialogs sorgten auch in Reihen des Publikums für Diskussionsbedarf. Im Anschluss an die Veranstaltung nutzen die Gäste beim Get-Together die Gelegenheit, die Diskussionen zu vertiefen und weitere Kontakte zu knüpfen.
Die Zulieferindustrie zählt in Thüringen zu den größten und umsatzstärksten Arbeitgebern. Die Produktionsabläufe sind hochkomplex, Aufträge werden flexibel und just-in-time nach individuellen Kundenwünschen erfüllt. Gesunde, leistungsfähige und körperlich belastbare Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind daher die Voraussetzung, um diese tägliche Herausforderung zu bewerkstelligen. Allerdings stellen Faktoren wie der demografische Wandel und die steigende Zahl chronisch Kranker eine zunehmende Herausforderung für die Betriebe dar.
Wie gelingt es den Unternehmen also, ihre Mitarbeiter so lange wie möglich gesund zu halten? Welche betrieblichen Maßnahmen sind erforderlich, um die Beschäftigten unmittelbar am Arbeitsplatz zu aktivieren und zu motivieren? Und was kann und muss Politik tun, um die Unternehmen bei der Bereitstellung von Instrumenten zur Gesundheitsförderung zu unterstützen?
Am 21. Oktober 2015 war die Initiative Diabetes@Work gemeinsam mit der ContiTech AG, einer großen Tochtergesellschaft des Zuliefererkonzerns Continental AG, zu Gast im Thüringer Landtag. Unter der Schirmherrschaft des Thüringer Landtagspräsidenten Christian Carius, diskutierten Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Fachgesellschaften praxistaugliche Lösungsansätze und Maßnahmen.
Film zur Länderstation in Thüringen
„Gesundheitsförderung ist Chefsache“
Margit Jung, Vizepräsidentin des Thüringer Landtags, schilderte in ihrer Begrüßung die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Arbeits-und Lebenswelten. „Die Belegschaften werden älter und das Renteneintrittsalter steigt - das bedeutet auch, dass sogenannte Volkskrankheiten, zu denen auch Diabetes gehört, verstärkt noch im Arbeitsalter und in größerer Zahl auftreten werden.“ Sie betonte weiterhin, dass Menschen einen großen Teil ihrer Lebenszeit am Arbeitsplatz verbringen und richtete einen Appell an die Gäste der Veranstaltung: „Gesundheitsförderung ist keine reine Privatsache, sondern auch Chefsache“.
Dr. Gerd Kräh von Lilly Deutschland und Partner der Initiative Diabetes@Work knüpfte daran an und stellte die Ziele der Initiative vor. Es gelte aus verschiedenen Perspektiven zu erörtern, wie sich Unternehmen schon heute bei der Prävention und Kuration chronischer Erkrankungen wie Diabetes engagieren. Daraus könne man ableiten, welche Maßnahmen flächendeckend in die Praxis umgesetzt werden könnten.
In einem anschließenden Impulsvortrag erläuterte Ines Feierabend, Staatssekretärin im Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie, die Rolle von Unternehmen bei Prävention und Gesundheit am Arbeitsplatz in Thüringen. Sie unterstrich, dass Unternehmen durch zahlreiche Gesetze verpflichtet seien, eine gesundheitsfördernde Arbeitswelt für ihre Mitarbeiter zu schaffen. So seien beispielsweise die Anforderungen durch das Arbeitsschutzgesetz für die Bereiche Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit bereits sehr hoch.
Beim Thema betriebliche Gesundheitsförderung bestehe jedoch weiterhin Handlungsbedarf. Die sich verändernde Arbeitswelt, geprägt durch eine alternde Belegschaft und Fachkräftemangel, erfordere Lösungen „wie man Arbeit in Zukunft gestalten kann“. Eines der Gesundheitsziele des Ministeriums sei dabei sicherzustellen, dass Menschen „gesund alt werden“. Eine Herausforderung für jedes Lebensalter, die aus Sicht der Staatssekretärin politisch noch mehr in den Fokus rücken müsse.
Gesundheitsförderung als langfristige Investition in die Beschäftigten
Wie praktische Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz gestaltet und etabliert werden kann, stellten Klaus Faßler, Werksleiter, und Gerhard Bachmann, Betriebsratsvorsitzender der ContiTech AG am Standort in Walterhausen, in einem Praxiseinblick vor. Die ContiTech AG arbeite bereits mit „einem bunten Strauß an Maßnahmen und Programmen“, um die Mitarbeiter unmittelbar am Arbeitsplatz zu erreichen. „Das ist eine Daueraufgabe, wir verstehen Gesundheitsförderung als langfristige Investition in die Beschäftigten und das Unternehmen“, so Bachmann. So kommen im „Gesundheitszirkel“ einmal im Quartal Vertreter unterschiedlicher Abteilungen wie Betriebsrat, Personalabteilung und Werksärztlichem Dienst zusammen, um Ideen und Maßnahmen wie beispielsweise Gesundheits- oder Sporttage zu diskutieren. Diese werden dann im „Steuerkreis Gesundheit“ durch die Betriebsleiter abgestimmt. Klaus Faßler betonte, dass betriebliche Gesundheitsförderung eine Führungsaufgabe sei: „Der Erfolg von Präventions-und Gesundheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz hängt maßgeblich vom Verhalten und Engagement des Führungspersonals ab.“ Außerdem komme es darauf an, den bunten Strauß an Maßnahmen zu strukturieren, zu koordinieren und zu bündeln – ab November wird diese Aufgabe deshalb von einer Gesundheitsmanagerin übernommen.
Lundershausen kritisierte die aus seiner Sicht viel zu langsamen politischen Reaktionen auf diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung. „Das Präventionsgesetz hat acht Jahre lang in der Schublade geschmorrt und der Nationale Diabetesplan lässt immer noch auf sich warten“. Könnte er einen Wunsch direkt an Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe richten, wäre es der Wunsch nach Einbindung erziehungsverantwortlicher Institutionen in die Aufklärung über und die Prävention von Diabetes. Zudem sei es an der Zeit, einen nationalen Diabetes-Versorgungsplan zu etablieren. Aus seiner Sicht wäre es wünschenswert, wenn sich die Krankenkassen noch stärker an den Kosten für Präventionsmaßnahmen beteiligen würden.
Erfolgreiche Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz ist Netzwerkaufgabe
Der abschließende politische Dialog nahm viele Punkte des Impulsgespräches auf. Der Thüringer Bundestagsabgeordnete Tankred Schipanski (CDU) sowie die Thüringer Landtagsabgeordneten Birgit Pelke (SPD) und Karola Stange (Die Linke) diskutierten mit Dr. Gregor Breucker vom BKK Dachverband, Volker Weber von der IG BCE Hessen-Thüringen und Prof. Dr. Beate Kretschmer von Lilly Deutschland über die Aufgaben der Politik bei der Bewältigung von Diabetes und anderen chronischen Krankheiten in der Arbeitswelt. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Vernetzung der relevanten Akteure vor Ort sowie die Erkennung und Bewertung von Risikofaktoren in den Betrieben.
Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass regionale Netzwerke aus Unternehmen und medizinischer Fachwelt einen guten Ausgangspunkt für konkrete Hilfestellungen für Arbeitnehmer mit Diabetes darstellen. Allerdings bestünde in diesem Punkt Nachholbedarf in Thüringen, bekannten die beiden Landespolitikerinnen. Die Themen betriebliche Gesundheitsförderung und die Prävention von chronischen Krankheiten wie Diabetes stünden bislang noch zu wenig auf der landespolitischen Agenda. „Trotz einiger Projekte, müssen wir effizienter werden und haben hier großen Nachholbedarf“, so Birgit Pelke. Auf Grundlage der Veranstaltungsergebnisse wolle man das Thema nun auch im Ausschuss für Arbeit, Soziales und Gesundheit stärker vorantreiben.
Ein weiterer Diskussionspunkt war die Identifizierung von Risikofaktoren im Betrieb. In Zukunft bedürfe es einer stärkeren Stratifizierung von Präventionsleistungen, um Risikogruppen und Risikofaktoren im Betrieb effektiver identifizieren zu können. Anhand dieser Bewertung können die Ressourcen schließlich effektiv gebündelt und Streuverluste vermieden werden.
Den Abschluss der Diskussionsrunde bildete eine Bewertung des im Sommer verabschiedeten Präventionsgesetzes durch die Vergabe von Schulnoten. Daraus ergab sich im Durchschnitt eine gute Drei, mit leichter Tendenz nach oben. Dies zeigt, dass es im nächsten Schritt auf die erfolgreiche Umsetzung des Präventionsgesetzes in den Kommunen und Regionen ankommt – und, dass es mit Blick auf die Prävention von Diabetes und anderen chronischen Erkrankungen noch Verbesserungsbedarf und Raum für Diskussion gibt.
Die Gesundheit der eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist ein wertvolles Gut für Unternehmen. Sie sichert die Leistungsfähigkeit jedes Einzelnen und dadurch die Produktivität des Betriebs. Zugleich stellen Faktoren wie die demografische Entwicklung und die steigende Anzahl chronisch Kranker Unternehmen unabhängig von ihrer Größe vor enorme Herausforderungen. Sie sind ein Risiko für die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter und damit für die Wirtschaftlichkeit.
Was tun Unternehmen schon heute, um diese Risiken zu begrenzen und sich frühzeitig für die Gesundheit ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu engagieren? Welche politischen Rahmenbedingungen braucht es, um die Betriebe dabei bestmöglich zu unterstützen?
Diese und weitere Fragen hat die Initiative Diabetes@Work am 27. Mai 2015 auf Einladung der Hüttenwerke Krupp Mannesmann GmbH (HKM) in Duisburg diskutiert. Bei der inzwischen zweiten Länderstation standen vor allem spezifische Herausforderungen von Arbeitsplätzen in der Schwerindustrie im Mittelpunkt – Arbeiten bei extremen Temperaturen und hoher Lärmbelastung, körperlich anstrengende Tätigkeiten und „Kontischichten“ im 24-Stunden-Takt an sieben Tagen in der Woche.
Film zur Länderstation in Nordrhein-Westfalen
Technischer Fortschritt verändert Belastungsschwerpunkte im Produktionsprozess
Peter Gasse, Arbeitsdirektor von HKM, schilderte in seiner Begrüßung die Veränderungen der Branche in den letzten Jahren und stellte klar: „Stahl ist keine Folklore-Veranstaltung“. Wichtige Merkmale der Stahlindustrie heute seien technische Intelligenz und Ingenieursfähigkeit. Durch technischen Fortschritt hätten sich die Belastungsschwerpunkte stark gewandelt, so Gasse weiter. Zwar hätten Arbeitserleichterungen und Automatisierungen im Produktionsprozess dazu geführt, dass Mitarbeiter körperlich entlastet werden und dadurch grundsätzlich länger im Unternehmen bleiben können. Dies führe auf der anderen Seite jedoch dazu, dass die Belegschaft immer älter werde. HKM habe es sich daher zum Ziel gesetzt, auf diese demografische Herausforderung im Betrieb zu reagieren: mit vielfältigen Angeboten des betrieblichen Gesundheitsmanagements, um die eigenen Mitarbeiter gesund zu halten und um Arbeitnehmer mit chronischen Erkrankungen in den Betriebsablauf zu integrieren.
Dr. Gerd Kräh von Lilly Deutschland und Partner der Initiative Diabetes@Work unterstrich die Vorbildfunktion von HKM und stellte damit die Motivation der Initiative vor: Aus verschiedenen Perspektiven zu erörtern, wie sich Unternehmen schon heute bei der Prävention und Kuration chronischer Erkrankungen wie Diabetes engagieren, und zu diskutieren, welche Maßnahmen flächendeckend in die Praxis umgesetzt werden könnten. An die Politik gerichtet fügte er hinzu, dass das Thema zum Handlungsschwerpunt auf Bundes-und Landesebene werden müsse, da insbesondere jüngere Menschen im arbeitsfähigen Alter immer stärker von Typ-2 Diabetes betroffen sind.
Diesen Punkt griff Dr. Wilhelm Schäffer, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales und Schirmherr der Veranstaltung auf und skizzierte in seinem Impulsreferat die wichtige Rolle von Unternehmen bei Prävention und Gesundheit am Arbeitsplatz. Er bestätigte, dass es die zentrale Aufgabe der Politik sei, hier geeignete Rahmenbedingungen für den Gesundheits-und Arbeitsschutz zu schaffen und er sich daher über die Impulse von HKM freue. Sein politisches Ziel sei es, an Initiativen wie Diabetes@Work und bestehenden Best-Practices anzuknüpfen und deren Angebote möglichst flächendeckend und für alle Unternehmensgrößen zu etablieren.
Gesundheit als Netzwerkaufgabe
Im nachfolgenden Impulsgespräch zwischen dem in Duisburg niedergelassenen Diabetologen Dr. med. Ernst-Otto von Reis und dem Vorstandsvorsitzenden der BKK vor Ort, Reinhard Brücker, lobten beide die Kooperation zwischen Diabetologen, Betriebsärzten und Krankenkassen in Duisburg und speziell mit HKM, die seit Jahren sehr gut funktioniere. Trotz allem müssten weitere Anstrengungen unternommen werden, da Diabetes noch immer unterschätzt werde: „Die Krankheit selbst tut nicht weh. Sie wird zu spät erkannt, was unsere Therapiemöglichkeiten schnell einschränkt“, so Dr. von Reis.
Brücker ergänzte, dass der Anstoß, sich selbst gesund zu halten, daher frühzeitig erfolgen müsse. Das Setting Arbeitsplatz sei dafür besonders geeignet, da niemand so nah an den Beschäftigten sei wie der Betriebsarzt. Vor diesem Hintergrund begrüßten beide das Präventionsgesetz als wichtigen Ansatz, den Ausgabenschwerpunkt im Gesundheitssystem schrittweise um Präventionsmaßnahmen zu erweitern.
Setting Arbeitswelt muss gestärkt werden
IDas in den kommenden Tagen im Bundestag zur Abstimmung stehende Präventionsgesetz bestimmte den anschließenden politischen Dialog. Die SPD-Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Gesundheitsausschuss Helga Kühn-Mengel sowie Peter Preuß, arbeits-und sozialpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in NRW diskutierten mit Bernhard Graefenstein (IG BCE Nordrhein), Anne-Kathrin Klemm (BKK-Dachverband) und Norbert Keller (Betriebsrat HKM) die Rolle von Politik zur Unterstützung von Unternehmen bei der Umsetzung von Präventionsmaßnahmen.
Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass präventive und kurative Gesundheitsmaßnahmen dann erfolgreich sind, wenn Sie erstens direkt am Arbeitsplatz und in der Arbeitszeit durchgeführt werden, sie zweitens auf die individuelle Arbeitsplatzsituation zugeschnitten sind und drittens niedrigschwellige Zugänge bieten. Dies koste zwar Zeit und Geld, doch der Aufwand sei es wert, sodass die Aufwendungen für Präventionsleistungen im Setting Arbeitswelt in den kommenden Jahren sogar noch auszuweiten seien. Schließlich sei Prävention eine Investition in die Zukunft der Gesellschaft: „Prävention ist die Antwort auf die demografische Entwicklung“, konstatierte Helga Kühn-Mengel, die neben ihrem Bundestagsmandat auch Präsidentin der Bundesvereinigung Prävention und Gesundheitsförderung ist.
Das Präventionsgesetz sei dafür ein erster wichtiger Baustein. Das Setting Arbeitsplatz, so die Teilnehmer, erfahre eine Aufwertung und könne zum Ausgangspunkt für Prävention und Kuration von chronischen Erkrankungen wie Diabetes werden. Um regionale Netzwerke und die Kooperation vor Ort weiter zu verstärken, dürfe Politik jedoch nicht nachlassen. Regionale Netzwerke aus Unternehmen, Krankenkassen, Ärzten und weiteren Akteuren der Prävention benötigen politische Rahmenbedingungen, die den Transfer und Austausch von Best-Practices fördern und bürokratische Hürden abbauen. Eine sinnvolle Ergänzung könne hier eine nationale Diabetesstrategie sein.
Die Fraport AG war am 18. September 2014 Gastgeber der Auftaktveranstaltung von „Diabetes@Work – Initiative zeigen für eine gesunde Arbeitswelt!“. Unter der Schirmherrschaft des hessischen Ministers für Soziales und Integration, Stefan Grüttner, diskutierten Vertreter aus Gesundheitswesen, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit rund 60 Teilnehmern über die Herausforderungen durch Diabetes im Arbeitsleben und gemeinsame Lösungsansätze.
Film zur Länderstation in Hessen
Fachkräftemangel, demografischer Wandel sowie steigende Zahlen chronisch kranker Beschäftigter – wenn es um die Sicherung von Arbeitsplätzen geht, stehen Unternehmen vor großen Herausforderungen. Bei der ersten Länderstation von Diabetes@Work ging es um die Frage: Wie können chronisch kranke Beschäftigte sowohl präventiv als auch kurativ unterstützt werden, damit ihre Beschäftigungsfähigkeit erhalten bleibt?
Der wichtigste Arbeitgeber der Region, die Fraport AG, hatte zum Frankfurter Flughafen eingeladen, um gemeinsam mit der neu gegründeten Initiative nach guten Antworten zu suchen. „Ich schätze es, mit Diabetes@Work hier einen gemischten Kreis anzutreffen, ein Bündnis unterschiedlicher Berufsgruppen, in dem sich also nicht nur Gesundheitsspezialisten fachlich austauschen, sondern auch die Facetten des betrieblichen Alltags, des Arbeits-und Gesundheits-schutzes, der Personalarbeit und vieler mehr zur Sprache kommen. Dies ist mir als Arbeitsdirektor natürlich ganz besonders wichtig“, betonte Michael Müller, Vorstand Arbeitsdirektor bei der Fraport AG, die Verantwortung für sein Unternehmen.
Regionale Netzwerke ermöglichen optimale Versorgung
In der Diskussion bestand große Einigkeit unter den Teilnehmern darin, dass konkrete Hilfestellungen für Arbeitnehmer mit Diabetes nur im regionalen Netzwerk aus Unternehmen, medizinischer Fachwelt und mit Unterstützung durch die Politik möglich sind. Große Unternehmen könnten für kleinere Betriebe eine Vorbildfunktion einnehmen und Vernetzung zu sozialmedizinischen Maßnahmen im Arbeitsleben vorantreiben, so Vertreter der Fraport AG. Zudem ließe sich durch einen verstetigten Austausch zwischen Arbeitsmedizinern und niedergelassenen Ärzten und Diabetologen die Behandlungsgrundlage für Menschen mit Diabetes optimieren
„Diabetes im Arbeitsleben“ gehört auf die politische Agenda
Was Politik konkret tun kann, diskutierten die Teilnehmer mit den Partnern von Diabetes@Work sowie der CDU-Bundestagsabgeordneten im Gesundheitsausschuss, Dr. Katja Leikert, und dem gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Landtagsfraktion in Hessen, Dr. med. Thomas Spies. Unternehmen müssten verbesserte Rahmenbedingungen vorfinden, um betriebliche Gesundheitsmaßnahmen unbürokratisch organisieren zu können - entsprechende Anpassungen in der Steuergesetzgebung wären hier hilfreich, lautete ein Vorschlag. Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass auch aufgrund der steigenden Behandlungskosten bei Diabetes die lebensweltnahe Prävention und Früherkennung mit hoher Priorität auf die gesundheitspolitische Agenda gehören. Vor diesem Hintergrund müsse auch die betriebliche Gesundheitsförderung und die Unterstützung von chronisch kranken Beschäftigten in der weiteren Beratung eines Präventionsgesetzes und einer nationalen Diabetesstrategie eine herausgehobene Rolle spielen.
Ernährungsverhalten muss sich ändern – nicht nur am Arbeitsplatz
Der verbesserte Verbraucherschutz und die Stärkung des gesundheitsbewussten Ernährungsverhaltens wurden als weitere zentrale politische Aufgaben zur Prävention von Diabetes Typ 2 genannt. Auch Unternehmen können mit Programmen für ihre Beschäftigten einen wertvollen Beitrag leisten, damit gesunde Ernährung Teil des Lebensalltags wird – nicht nur am Arbeitsplatz.
Im Anschluss an die Veranstaltung konnten die Teilnehmer diese und weitere Punkte bei einem Get-together und persönlichen Gesprächen vertiefen.
Die Auftaktveranstaltung wurde unterstützt durch
Schirmherrschaft: